Die Corona Pandemie und der Lockdown mit seinen gravierenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens stellen für suchtkranke Menschen eine große Herausforderung dar. Ängste, fehlende Unterstützung, Isolation, finanzielle Unsicherheit, Jobverlust oder mangelnde Beschäftigungsmöglichkeiten erhöhen den psychischen und emotionalen Druck und die Gefahr, zur Flasche oder anderen Suchtmitteln zu greifen, erheblich.
Eine kürzlich erschienene richtungsweisende Publikation im Deutschen Ärzteblatt, die empirisch darstellt, dass die Deutschen seit der Corona-Krise häufiger als sonst zum Feierabendbier oder zum Weinglas greifen, bestätigt dies in aller Deutlichkeit. Der stark gesteigerte Konsum von Substanzen, die abhängig machen, kann nach der Lockerung der Ausgangsbeschränkungen bzw. der Pandemie nicht oder nur sehr schwer wieder reduziert werden. Damit stellt die COVID-19-Pandemie einen hochriskanten Nährboden für Abhängigkeitsprobleme dar, der die Fachwelt noch Jahre beschäftigen wird.
Dr. Torsten Sonner, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Oberarzt im AMEOS Klinikum Kaiserstuhl, fasst seine bisherigen Erfahrungen aus der Pandemie wie folgt zusammen:
„Für Menschen mit starken Alkoholproblemen war die geringe Verfügbarkeit stationärer Angebote während des Lockdowns ein großes Problem. Uns erreichten viele Anfragen von Hilfesuchenden, ehemaligen Patienten und kooperierenden Behandlungspartnern. Besonders die körperliche Entgiftung, stationäre Therapien und die Rehabilitation sind für stark abhängige Menschen, wie wir sie hier behandeln, eine enorm wichtige Perspektive. Auch die bereits trockenen Alkoholkranken haben es seit der Coronazeit nicht leicht. Die von uns direkt implementierte kontaktlose Beratung durch die Telemedizin wird erfreulicherweise rege angefragt. Wir führen damit mehrmals pro Woche Beratungssitzungen durch und konnten dadurch ein gewisses Maß an Hilfe bieten. Es wurde nicht aus jeder Anfrage eine verbindliche Therapie, es ließ sich aber durchaus mit einigen Patienten auch über Wochen hinweg eine stabile und haltgebende Therapiebeziehung aufbauen. Im Besonderen ist es die stationäre körperliche Entgiftung mit dem Qualifizierten Alkoholentzug, den weiterführenden Rehabilitationsmaßnahmen und auch die Anbindung an das wohnortnahe Beratungsnetz, die besonders wichtig sind. Das telemedizinische Angebot werden wir als Nachsorgeangebot für unsere bereits abstinenten Patienten beibehalten“.
Konzeptionelle Neuausrichtung
Das AMEOS Klinikum Kaiserstuhl hat in den letzten Monaten die Zeit genutzt, um sein Behandlungskonzept zu überarbeiten. Im Bereich der Suchtmedizin wird zukünftig in Anlehnung an das fundiert aufgebaute TIQAAM Therapiemanual von Almut Lippert gearbeitet. TIQAAM ist ein anwenderfreundliches, verhaltenstherapeutisches Praxismanual, das für die Behandlung von Menschen mit Alkohol- oder Medikamentenproblemen entwickelt wurde. Es ist für unterschiedliche Settings flexibel anpassbar und ermöglicht dadurch, dass jeder Therapiebaustein in sich abgeschlossen ist und daher auch unabhängig genutzt werden kann.
Ab sofort sind Anmeldungen wieder möglich
Das AMEOS Klinikum Kaiserstuhl hat zur Sicherstellung stationärer Behandlungsbedarfe für COVID-19 Patienten in der Region Breisgau-Hochschwarzwald Ende April sein Behandlungsangebot für Alkoholkranke vorübergehend aussetzen müssen, um als internistisches Akutkrankenhaus ggf. für die umliegenden Krankenhäuser Entlastungskapazität bieten zu können.
„Wir haben in den letzten Monaten sehr viele positive Rückmeldungen über den Bedarf und die Wichtigkeit unseres suchtmedizinischen Behandlungsangebotes erhalten. Das ist eine sehr positive Bestätigung für unser Engagement und die Qualität unseres stationären Behandlungsangebotes. Erfreulicherweise können wir nun wieder unser Behandlungsangebot für alkoholkranke Menschen mit dem Qualifizierten Alkoholentzug zum 14. September 2020 eröffnen“, so Christine Wilkens-Lotis, Krankenhausdirektorin AMEOS Klinikum Kaiserstuhl.