„Gemeinschaft entsteht durch gemeinsam Erlebtes.“ Mit diesem Leitsatz ihres täglichen Handelns eröffnete Thelke Scholz die Tagung und präsentierte den Behandlungsansatz des Experiences Involvements, kurz Ex-In. Hierbei werden bereits therapieerfahrene Patienten bei der Behandlung anderer Betroffenen eingesetzt. Die junge Frau, die mit Mitte 20 selbst psychisch erkrankte, ist heute als Genesungsbegleiterin tätig. Durch ihre persönlichen Erfahrungen ist es ihr möglich, Brücken zwischen den Betroffenen, den Angehörigen und den Experten zu bauen und als DolmetscherInnen zwischen zwei "Kulturen" zu fungieren. Der Therapieansatz steht dabei sinnbildlich für neue Behandlungswege, die in der Behandlung psychisch Erkrankter begangen werden: „Wir sollten uns gegenseitig daran erinnern, wo die Reise hin gehen soll und wo sie nie wieder hin gehen sollte,“ unterstreicht Scholz.
Gewalt in der Pflege ist ein allgegenwärtiges Thema. Insbesondere auf geschützten Stationen ist das Gewaltpotential besonders hoch. Um Gefahrensituationen und die damit verbundenen Zwangsmaßnahmen zu reduzieren, liefert das sogenannte Safewards-Modell ein Erklärungsmodell für die Entstehung von Konflikten und weitergehende Interventionen. Prof. Michael Löhr, Professor für psychiatrische Pflege, hat die von Len Bowers ursprünglich entwickelte Idee weitergeführt und in Deutschland etabliert. In seinem Vortrag führt Prof. Löhr wichtige Ursprungsfaktoren wie das Stationsteam, die räumliche Umgebung, die Patientengruppe und die Patienteneigenschaften als Ursprungsfaktoren für Gewaltpotential auf psychischen Stationen an. So wurde deutlich, dass der Patient selber nur ein Sechstel der Faktoren ausmacht und somit die äußerlichen Faktoren im Stationsalltag maßgebend sind. Safewards-Internventionsmaßnahmen wie die deeskalierende Gesprächsführung, das gegenseitige Kennenlernen, die positive Kommunikation und die Methoden der Beruhigung können helfen, das Gewaltpotential zu reduzieren. „Der Fokus muss auf das Gesamtsystem Station gelegt werden, um Gewalt entgegenwirken zu können“ so Prof. Löhr.
Schon längst sind Medikamente und Therapiegespräche nicht mehr die einzige Säule der Behandlung von seelischen Erkrankungen. Auch sanfte Methoden wie der Einsatz von Naturheilkunde finden Gebrauch im Stationsalltag und werden auch zukünftig am AMEOS Klinikum Seepark Geestland etabliert. Sven Helliger, Pflegerischer Zentrumsleiter, machte dabei deutlich, dass Innere Haltung, Fachkompetenz sowie Selbst- und Personalkompetenz die wichtigen Komponenten bei der Behandlung mit Naturheilkunde seien. „Es muss mehr an den grundsätzlichen Problemen gearbeitet werden, als nur an der Oberfläche herumzudoktern“ so Helliger. Für einen langanhaltenden Erfolg ist die Mitarbeit der Patienten unabdinglich.
Auch die Kunst- und Theatertherapie wird sich zukünftig im Behandlungsplan des AMEOS Klinikums Seepark Geestland wiederfinden. Die in Wien gewachsenen Verbindungen zwischen Kunst, Philosophie, Architektur und Psychologie untermalte und erklärte Dr. Robert Hitsch, Ärztlicher Zentrumsleiter, mit Bildern von Gustav Klimt und architektonischen Meisterwerken von Adolf Loos. Von der Bedeutung des Wiener Kreises über Sigmund Freund bis hin zu Stanley Kubrick (Eyes Wide Shut) und Franz Xaver Messerschmidt spannte Herr Dr. Hitsch den Bogen zu einer modernen Psychiatrie in der die Arbeit mit Kunst und Ausdruck z. B. im Rahmen der Kunsttherapie oder in der Theatertherapie unabdingbar geworden sind. Deshalb sollen zukünftig diese beiden Therapieformen, ebenso wie der Einsatz von Naturheilkunde, in der täglichen Arbeit implementiert werden.
Doch die psychiatrische Versorgung hat mit aktuellen, gesundheitspolitischen Herausforderungen zu kämpfen. Dr. Matthias Walle, Leiter des MVZ am Ostebogen, identifizierte die Zugangsbarriere bei Terminen, die Budgetierung und Deckelung im ambulanten Bereich, die große Menge an Kostenträgern und die Tatsache, dass der Bedarf angebotsgesteuert verlaufe, als größte Hürden im ambulanten und stationären Sektor. Eine mögliche Lösung könnten stepped-care-Ansätze sein, so der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Hierbei wird der Bedarf an die Versorgung angepasst und nicht umgekehrt. Perspektivisch werden zudem die sektorübergreifende Bedarfsplanung, einheitliche E-Akten sowie die Digitalisierung der Therapien Herausforderungen in der psychiatrischen Versorgung sein, denen es sich zu stellen gilt.