Zwei von 1000 Neugeborenen sind hochgradig schwerhörig. Wie sehen die Entwicklungsmöglichkeiten für diese kleinen Menschen oder für Leute, die durch einen Unfall, eine Infektion oder einen Hörsturz ertauben, im weiteren Leben aus? Sackgasse? Ende der auditiven Kommunikationsmöglichkeiten?
Die moderne Medizin kann seit mehr als 20 Jahren einen Ausweg aus dieser Situation bieten. Ein Cochlea Implantat kann verlorene Hörfähigkeiten wiederherstellen. Weltweit konnte auf diese Weise schon über 100.000 Menschen geholfen werden.
Das Cochlea Implantat (CI) ist eine Innenohrhörprothese, die es schwerhörigen Menschen, die mit konventionellen Hörsystemen nicht ausreichend rehabilitiert werden können, ermöglicht, ihre akustische Sinnesfähigkeit wiederzuerlangen bzw. erstmals akustische Reize wahrzunehmen. Damit wird ihr kommunikatives Umfeld erweitert und sie erfahren eine neue Lebensqualität.
Kurz gesagt: sie können wieder oder erstmalig in ihrem Leben hören.
Implantiert werden Patienten, bei denen eine ein- oder beidseitige, hochgradige oder an Taubheit grenzende Innenohrschwerhörigkeit vorliegt, sowie Kinder, die mit an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit geboren werden. Voraussetzung für eine Implantation ist die weitgehend einwandfreie Funktion des Hörnerven und aller weiteren Hirnstrukturen, die für die Analyse des Gehörten verantwortlich sind.
Dr. med. Jörg Langer, Chefarzt der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde am AMEOS Klinikum Halberstadt, blickt gerne zurück auf die bisherige Entwicklung der CI-Versorgung:
"Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Kontakt zu einem Cochlea-Implantat-Träger. Dieser fand im Jahr 1997, damals als Arzt im Praktikum einer HNO-Praxis in Leipzig statt. 1998 konnte ich dann meine Assistenzarztzeit in Halberstadt fortsetzen und hatte die Möglichkeit, im Cochlea-Implantat-Team der HNO-Klinik unter der Leitung von Prof. Dr. Klaus Begall arbeiten zu können. Damals versorgten wir Babys und Kleinkinder, die taub geboren worden sind sowie beidseits ertaubte Erwachsene.
Die Sprachprozessoren, die es ermöglichen akustische Signale an die Hörschnecke weiterzugeben, hatten damals die Grösse von Minidisc-Playern und mussten am Körper getragen werden. Mehr als 20 Jahre und knapp 1.500 Cochlea-Implantat-Operationen später, haben sich nicht nur die Indikationen zur Operation geändert, sondern auch die OP-Technik selbst.
Ein Meilenstein stellte vor ca. 10–15 Jahren die Versorgung von einseitig tauben Menschen mit Cochlea Implantaten dar. Diesen Patient*innen war früher der Zugang zu einem beidseitigen Hören verschlossen. Die Ergebnisse nach Cochlea-Implantat-Versorgung bei einseitiger Taubheit ermöglichen aber wieder ein räumliches Hören und ein besseres Verstehen in lauter Umgebung.
Durch atraumatische OP-Techniken, aber auch dünnere und flexiblere Elektroden gelingt die hörerhaltende Chirurgie in zunehmendem Masse. Das führt auch dazu, dass mittlerweile Patient*innen mit einer sogenannten Hochtontaubheit von einem Cochlea Implantat profitieren. Auch die noch äusserlich am Körper zu tragenden Sprachprozessoren haben sich verändert. Von Minidisc-Playern der 90er Jahre sind wir jetzt zu deutlich kleineren, hinter dem Ohr zu tragenden Audioprozessoren gekommen.
Wenngleich mit diesem kurzen Artikel gezeigt wird, wie sich auf dem Gebiet der Cochlea-Implantat-Versorgung Innovationen durchgesetzt haben, bleibt für mich eines gleich: Auch nach mehr als 20 Jahren im „CI-Geschäft“ ist es für mich ein Wunder zu sehen, wie Kinder, die taub geboren werden durch die Versorgung mit einem Cochlea-Implantat eine nahezu normale Sprachentwicklung nehmen.
Im Rahmen des 2018 durchgeführten Symposiums aus Anlass der Gründung des Cochlea-Implant-Rehabilitationszentrums 25 Jahre zuvor, haben wir mit Personen gesprochen, die rund 20 Jahre zuvor, als Babys, mit einem Cochlea-Implantat versorgt wurden. Es war eine lebhafte Diskussionsrunde. Diese jungen Menschen stehen mittlerweile voll im Leben und haben ihre Schulbildung abgeschlossen und teilweise mit dem Studium begonnen. Diese Entwicklung wäre ohne eine Cochlea-Implantat-Versorgung nur schwer denkbar."
Text: Dr. med. Jörg Langer, Dagmar Wawrzyczek
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Dr. med. Jörg Langer ist Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde am AMEOS Klinikum Halberstadt. Seit 1998 werden dort schwerhörige Patient*innen mit Cochlea Implantaten (CI) versorgt.
In der HNO-Klinik des AMEOS Klinikum Halberstadt erfolgt dabei sowohl die Diagnostik von Hörstörungen als auch die Versorgung mit Cochlea Implantat-Systemen. Im Anschluss an die CI-Operation erfolgt die notwendige Rehabilitation dann im Cochlea Implant-Rehabilitationszentrum Sachsen-Anhalt (CIR) in Trägerschaft des Diakonissen-Mutterhaus Cecilienstift. Das CIR Halberstadt wurde bereits 1993 gegründet und arbeitet seit dem Beginn der CI-Versorgung in Halberstadt eng mit der HNO-Klinik zusammen.
Im AMEOS Klinikum Halberstadt steht das CI-Team für Organisatorisches und zur Unterstützung, zum Beispiel bei der Kommunikation mit öffentlichen Stellen und Krankenkassen zur Verfügung. Patienten können sich bei Fragen unter 03941/646209 an die Koordination Cochlea Implantat der HNO-Klinik (Frau Uta Uhde) wenden. Nach Diagnostik und Versorgung mit einem Cochlea Implantat-System, welches unter stationären Bedingungen durchgeführt wird, erfolgt die weitere Rehabilitation im CIR.