Sinkende Inzidenzen, Lockerungen in den Einschränkungen und neue Freiheiten. Die vergangenen Sommermonate hinterließen bei vielen ein Gefühl des Aufbruchs und Neustarts. Aber nicht bei allen. Nicht bei denen, die einen geliebten Menschen an das Virus verloren haben. Aber auch nicht bei denjenigen, deren Leben nach der Erkrankung an Covid-19 anders verläuft als vorher. Es ist überschattet von körperlichen, mentalen und emotionalen Einschränkungen. Dabei zeigen sich die Beschwerden von Long Covid auf ganz unterschiedliche Art und Weise.
Von Konzentrationsstörungen und Vergesslichkeit über bleierne Müdigkeit, Erschöpfung und Nervenschmerzen bis hin zu psychischen Folgen wie Angst- und Panikstörungen, depressive Verstimmungen sowie dem Gefühl tiefer Verunsicherung.
Zur Reha nach einer Covid-19 Erkrankung
Im AMEOS Reha Klinikum Ratzeburg werden seit April 2020 zunehmend Covid-19-Patient*innen aufgenommen, die nach einem schweren Krankheitsverlauf Mühe haben, den Weg zurück in den Alltag zu finden. Neben Bewegungstherapie, Hirnleistungstraining und Entspannungsverfahren finden psychologische Gruppen- und Einzelgespräche statt. In diesem geschützten Raum darf erzählt, erinnert und durchgearbeitet werden, was bislang im diffusen Gefühlschaos verborgen lag.
Sven Schrader (Name von der Redaktion geändert) erkrankte Anfang 2021 an Covid-19. Recht schnell muss der 34-Jährige ins Krankenhaus eingeliefert werden. Es steht kritisch um ihn. Auf der Intensivstation des Krankenhauses wird er knapp fünf Wochen verbringen, 17 Tage davon im künstlichen Koma. Nach Hause geht er mit einem negativen Corona-Test, einem geschwächten Körper und einer belasteten Seele. Nur Schritt für Schritt kann er ankommen, realisieren und verarbeiten. Erste Erinnerungen, Bilder und Gefühle hält er bereits in der Klinik schriftlich fest.
Diese Texte brachte Sven Schrader, im Mai 2021, mit ins AMEOS Reha Klinikum Ratzeburg und in die psychologischen Einzelgespräche. Er war damit einverstanden, dass Ausschnitte seiner Texte und Erfahrungen hier veröffentlicht werden.
Die Aufarbeitung: Träume oder Realität
Unter der Überschrift „Träume oder Realität“ beschreibt er sehr berührend, wie dünn die Wand zur jenseitigen Welt für ihn war, und wie nah er sich dem Tode bereits gefühlt hatte.
„Ich liege mit weiteren Patienten in einem schönen hellen Raum. Nur durch Fenster kann ich sehen, dass im Raum nebenan eine große Holzwanne steht, in der eine Gruppe alter Menschen sitzt. Diese atmen dort einen Nebel ein, der sie letzten Endes töten wird. Als ich das nächste Mal durch das Fenster schaue, ist der Zuber leer. Ich selbst weiß, dass ich überleben werde. Man sagte mir dann: „Hier sind nur Menschen, die sterben wollen. Sie müssen woanders hin.“
Die tödliche Bedrohung steht hier unmittelbar neben der Hoffnung, vom Nebel verschont zu werden, es ins Leben zurück zu schaffen. Auch zeigt der Text trotz aller Bedrohlichkeit seinen Überlebenswillen und sein Vertrauen in einen guten Ausgang. Selbst den Übergang vom Leben zum Tod – er beschreibt dies als eine Art Nahtoderfahrung – empfindet er als beinahe tröstlich.
„Ich bin ein Schmetterling. Ich habe mein eigenes Gesicht. Meine Flügel sind blau, und ich fliege von Blume zu Blume auf einer bunten Blumenwiese. Immer dem hellen Licht der Sonne entgegen. Ich fühle mich so leicht, unbeschwert und sorgenfrei. ´Nun wird alles gut´ stand auf einmal vor mir geschrieben. Das helle Licht der Sonne entfernte sich, und ich eilte, um hinterher zu kommen. Mit einem Mal wurde es dunkel und kalt. Ich hatte das Gefühl, wieder im eigenen Körper angekommen zu sein.“
Seine eigene, endgültige Rückkehr ins Leben markiert diese Traumsequenz:
„Ich befinde mich auf einem Dachboden einer Kirche. Wieder krank aber nicht regungslos. Mit einem Mal höre ich von draußen wunderschöne Musik erklingen. Ich schaue aus dem Fenster und sehe alle meine Freunde, Arbeitskollegen und meine Familie. Zusammen ein großes Orchester. Sie spielten den Song ´Come back and stay´ von Paul Young. Hat mich das ins Leben zurückkatapultiert?“
Ende gut, alles gut? Noch nicht ganz. Sven Schrader ist anzumerken, dass er trotz der Rückkehr ins Leben die Zeit im Krankenhaus traumatisierend erlebt hat. Als Trauma bezeichnet man eine seelische Verletzung oder eine starke psychische Erschütterung, die durch ein extrem belastendes Ereignis hervorgerufen wird. Die Folgen einer Traumatisierung können zu einer akuten Belastungsreaktion (ABR) oder zu langfristigen psychischen Beeinträchtigungen führen, einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). In beiden Fällen empfiehlt sich eine zeitnahe psychotherapeutische Behandlung, um das Erleben von Hilflosigkeit und akutem Kontrollverlust einer seelischen Verarbeitung (Integration) zuzuführen und damit die Entwicklung einer langfristigen psychischen Störung zu verhindern.
Die Reha ist ein erster Meilenstein
Sven Schrader scheint auf einem guten Weg zu sein. Ihm hat das Aufschreiben seiner Träume geholfen, Distanz zu den erschütternden Ereignissen in der Klinik zu finden. Auch tauchten bereits in seinen Traumsequenzen Schutzfaktoren auf, die eine erfolgreiche Traumaverarbeitung fördern: ein stabiles soziales Netz (das Orchester, das ihn ins Leben zurückkatapultiert) sowie gute Ressourcen (Musik, Natur, vertrauenswürdige medizinische Unterstützung:„man sagte mir: hier sind nur Menschen, die sterben wollen. Sie müssen woanders hin“).
Nicht zuletzt trägt die Rehabilitationsbehandlung im AMEOS Reha Klinikum Ratzeburg dazu bei, ihn mit ihrem ganzheitlichen Ansatz darin zu unterstützen, den Weg zurück in die Realität und seinen Alltag zu finden. Noch hat er eine beachtliche Wegstrecke vor sich. Noch leidet er unter einer Polyneuropathie und muss seine geschwächte Muskulatur trainieren, bis er physisch dazu in der Lage sein wird, seine körperlich anstrengende Berufstätigkeit wiederaufzunehmen. Aber auch seine Seele wird noch Zeit und psychotherapeutische Hilfe benötigen, um die Erschütterungen integrieren und den Song "Come back and stay" aus voller Kehle mit singen zu können.
Zur Reha bei AMEOS
Das AMEOS Reha Klinikum Ratzeburg bietet ehemaligen Covid-19-Patient*innen, seit Beginn der Pandemie im Jahr 2020, eine spezielle pneumologische Anschlussheilbehandlung an. Auf ihrem Weg zur Genesung werden die Rehabilitanden nicht nur von Expert*innen für Lungenheilkunde, sondern auch von Fachärzt*innen für Psychosomatik durch ein individuelles Behandlungsprogramm geleitet. So unterschiedlich die Krankheitsverläufe einer Covid-19 Erkrankung ausfallen, so individuell ist auch das Behandlungsprogramm innerhalb der Reha. Neben der Stärkung der körperlichen Leistungsfähigkeit, einem gezielten Lungenfunktionstraining und einer Förderung der kognitiven Beeinträchtigung widmet man sich auch der professionellen Aufarbeitung von Erlebtem.
Sie haben noch Fragen oder möchten mehr über das Reha-Angebot in Ratzeburg erfahren?
Rufen Sie uns gerne unter Tel. +49 (0)4541 13-3800 an oder werfen Sie einen Blick auf unsere Website: www.ameos.eu/ratzeburg.
Autorinnen: Angelika von Aufseß & Avena Fendel