Wenn die Corona-Pandemie das seelische Gleichgewicht erschüttert, braucht man Strategien:
Angelika von Aufseß leitet das Team der Psychologie am AMEOS Reha Klinikum Ratzeburg und gibt Tipps zur Bewältigung von psychischen Krisen.
Es geht im Leben nicht darum, gute Karten zu haben, sondern mit einem schlechten Blatt
ein gutes Spiel zu machen (Robert Louis Stevenson)
In der Psychologie spricht man von psychischen Krisen, wenn folgende Merkmale vorliegen:
- Eine Notsituation tritt ein, ausgelöst durch eine bedeutsame Veränderung der Lebensumstände
- Eine Krise ist akut und zeitlich begrenzt
- Die eigenen Bewältigungsmechanismen werden überflutet, die Kontrolle entgleitet
- Starke Emotionen treten auf
- Selbst- oder Fremdgefährdung nicht (mehr) ausgeschlossen
Die Entwicklungen der Corona-Pandemie stellen selbst robuste und psychisch stabile Menschen vor große Herausforderungen. Das Virus bedroht die Gesundheit, die eigene und die von Familie und Freunden. Es bedroht die Existenzgrundlage. Es durchbricht schlagartig Gewohnheiten, Verhaltensweisen und engt den Handlungsspielraum ein. Es ist bislang nicht kontrollierbar und macht die Zukunft noch unsicherer als sie ohnehin schon war. Darüber hinaus sind Kontaktverbote, Social Distancing, Quarantäne eine schwere Prüfung für eine der wichtigsten Ressourcen: das Gefühl von Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit.
Eigentlich überraschend, dass die aktuellen Ergebnisse einer Befragung der Universität Erfurt auf relativ gute Bewältigungsstrategien in der Bevölkerung hinweisen:
Im „COVID-19 Snapshot Monitoring“ (COSMO) vom 27.03.2020 heißt es: „Das Bewältigungsverhalten der Bevölkerung im Umgang mit der Krise ist gut ausgeprägt, was darauf hindeutet, dass Bewältigungsressourcen in der Bevölkerung vorhanden sind. Inwieweit diese geschont, erhalten und gesichert werden müssen, wird sich erst in den nächsten Wochen zeigen.“ Entsprechend wird hier empfohlen, Maßnahmen zur Steigerung der Resilienz niederschwellig anzubieten.
Was aber versteht man unter Maßnahmen zur Steigerung der Resilienz<em> </em>(= der psychischen Widerstandsfähigkeit)? Welche Antworten hat die Psychologie auf die Frage nach wirkungsvollen Strategien? Was kann man tun, um die eigenen Bewältigungsmechanismen in dieser Krise zu stärken?
In loser Reihenfolge haben wir in unserem Team ein paar Tipps zusammengestellt, wie man sich in dieser Ausnahmesituation, die erwartungsgemäß noch einige Zeit andauern wird, psychisch stabil halten kann:
- Den Blick auf das Machbare lenken und so Kontrolle zurückgewinnen. Das kann so gelingen: eine klare Tagesstruktur festlegen, z.B. einen Zeitplan erstellen für die Kommunikation mit den Lieben, für körperliche Fitness, für Outdoor-Aktivitäten, Haushalt, Hobbies …
- Die Fülle der Informationen eindämmen. Das kann so gelingen: sich auf seriöse Berichterstattung fokussieren und Corona-freie Zeiten einlegen
- In der Kommunikation mit anderen Menschen darauf achten, wer „nährt“ und wer „zehrt“: Zehrende Kontakte also möglichst meiden oder reduzieren.
- Sich selbst helfen, indem man anderen hilft: Womit kann man Menschen, denen es schlechter geht als einem selbst, eine Freude bereiten? Wie wäre es mit einer selbstgestalteten Postkarte, einem echten Brief z.B. an ältere Menschen, die mit den sozialen Medien nicht so vertraut sind?
- Eine Selbstfürsorge-Liste anlegen. Und das geht so: In Notzeiten – und bei Einschränkungen der Bewegungsfreiheit – braucht es manchmal detektivische Fähigkeiten bei der Suche nach dem, was Sicherheit vermittelt oder die Laune hebt. Vielleicht die Gitarre auspacken, das Riesenpuzzle vom Dachboden holen, eine eingerostete Fähigkeit mit einem Youtube-Tutorial auffrischen …
- Sich Gefühle eingestehen und ihnen Raum geben: z.B. Wut zulassen: einen Teller zerschmettern (Achtung: Scherben selber aufsammeln…), Angst genau untersuchen: Welche Körperempfindungen löst sie aus, was macht Angst mit dem Atem, welche Gedanken und Worte tauchen auf, welche Farbe hat sie, welche Form…? Traurigkeit annehmen und als situationsangemessen akzeptieren. Auch das Aufschreiben von Gefühlen kann eine entlastende Wirkung entfalten!
- Nüchtern und lösungsorientiert denken: Alternative Pläne entwickeln, wenn Plan A wegen Corona nicht klappt (Plan B bis Z). Aufgaben sortieren und in eine Reihenfolge bringen. Was ist jetzt wirklich wichtig, was kann warten, was kann weg?. Abwägen, welche Verluste hinnehmbar sind, welche arg schmerzen.
- Verbündete suchen: Wem geht es ähnlich? Mit wem kann man gemeinsam Lösungen entwickeln?
- Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und das eigene Können (= Selbstwirksamkeit) bewusst trainieren: Welche Herausforderungen im Leben hat man schon gemeistert? Welche Eigenschaften, Menschen, äußere Bedingungen halfen dabei? Wie kann man hier und heute darauf zurückgreifen?
- Ruhe in die eigenen Gedanken bringen: Trotz des aufwühlenden Weltgeschehens immer wieder mal tief durchatmen, zwischendurch Abstand nehmen von dem, was gerade da draußen passiert (z.B. Yoga, Meditation über youtube oder eine App)
- Online psychologische Beratungen nutzen
- Telefonische Hilfe bietet das AMEOS Klinikum Osnabrück mit einer psychologischen Corona-Hotline an: Montags bis freitags stehen Mitarbeitende des Psychologischen Dienstes in der Zeit von 10:00-11:00 Uhr unter der Telefonnummer +49 541 313-196 zur Verfügung.